TangoBerlin Prologe Band2

 

Das Gesamt-Konzept der Buchreihe Tango Global sowie der Tango-Berlin-Bücher darin nimmt im Zuge des Arbeits-Prozesses fortwährend an Komplexität zu und verändert sich von Band zu Band. Um nicht in jedem weiteren der Vorworte noch einmal das Ganze zu beschreiben und auf alle Veränderungen immer wieder neu einzugehen, haben wir uns entschlossen, für alle LeserInnen, die den (die) jeweils vorangegangenen Band (Bände) noch nicht kennen, die einzelnen Vorworte auch auf dieser Homepage zu veröffentlichen.

 

Prolog zu Tango in Berlin – Band 2 der Buchreihe Tango Global

Die Konzeption dieser Buch-Trilogie über Entstehung, Entwicklung und Gegenwart der Berliner Tangoszene, mit besonderem Fokus auf Berlins tragende Rolle bei der zweiten Globalisierungswelle des Tango, die Ende der 1970er Jahre entscheidend durch die Militär-Putsche in Uruguay, Argentinien und Chile ausgelöst wurde, beziehungsweise die im Zuge dessen überwiegend ins europäische Exil Abgewanderten, wurde bereits in Band 1 ausführlich beschrieben. Viele der meist jungen Exilanten trugen den Tango im Gepäck und entdeckten ihn oft erst nach Jahren in der Fremde als Bindeglied zu der Heimat, den eigenen Wurzeln und den gewohnten aber bald schon entbehrten sozialen Umgangsformen, deren zwischenmenschliche Nähe und Wärme sich auch im Tango ausdrücken, und deren Verlust in einer von anderen Mentalitäten und Einflüssen geprägten Gesellschaft zunehmend schmerzte.

Daneben behandeln diese drei Bände mit dem lokalen Schwerpunkt des Berliner Tango, in geringerem Umfang, noch weitere tangospezifische ortsunabhängige Themenfelder. Wenngleich die Versuchung groß ist, auch hierüber noch einmal zu schreiben, enthalte ich mich ihrer und verweise stattdessen auf die Vorworte des ersten Bandes der Reihe „Tango Global“. Beide, das zur gesamten Buchreiche (unter dem Link http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tangobuch-reihe) als auch jenes zum Berliner Tango (unter http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tangobuch-reihe/tango-berlin), können über die angegebenen Links auf dieser Homepage nachgelesen werden.

Und hier berühren wir gleich einen weiteren Aspekt dieser Publikation, jenen der interaktiven Bücher. Sie können diese – wie auch einzelne Artikel daraus – kommentieren, dazu Stellung beziehen sowie mit anderen LeserInnen oder den AutorInnen über deren Inhalte auf unserem Blog diskutieren, zu dem Sie unter dem Link http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tango-blog-muenchen-berlin-hamburg gelangen. Darüber hinaus freuen wir uns über viele weitere Kooperationspartner und Autorenbeiträge für die nächsten Bände. Bei Interesse wenden Sie sich einfach an die Redaktion.

Nun ähnelt die Vorgehensweise bei der redaktionellen Arbeit an dieser Trilogie jener im Hinblick auf die Anforderungen beim Tanzen während einer Milonga: Man entwirft aus der gegenwärtigen Sicht eine Struktur und einen Plan, diese ins Werk zu setzen, wird dabei aber sogleich wieder auf die Forderung verwiesen, im Dialog mit allen immer wieder neu hinzukommenden Aspekten und Perspektiven zu improvisieren, sich permanent auf ein nicht vorhersehbares Geschehen und dessen Fortgang zu beziehen und spontan einzustellen – ein lebendiger Prozess, der für mein Empfinden die Sphäre einer spielerisch-improvisatorischen Verbundenheit zwischen allen Beteiligten schafft und in dynamischer Weise aufrecht erhält. So auch mit den Themenfeldern des jeweiligen Buches, seiner wachsenden und sich ausgestaltenden inhaltlichen Zusammenstellung: ein magischer Prozess, der mich bei der Arbeit daran fortwährend inspiriert und trägt – wie bei einem gut getanztem Tango.

Aufgrund dieses improvisatorischen Vorgehens weiche ich bereits hier von meinem ursprünglichen Vorhaben ab, in jedem der drei Bände hauptsächlich nur jeweils eine der drei Entwicklungs-Phasen des Berliner Tango darzustellen. Zum einen, da in dieser Trilogie die Berliner Protagonisten der letzten 35 Jahre vor allem in Eigenbeiträgen zu Wort kommen und die Pioniere unter ihnen (nur mit Ausnahme von Ana Bayer) bis in die Gegenwart des Berliner Tango hinein wirken, ihn immer noch aktiv mitgestalten. Aufgrund dessen ziehen sich die Fäden ihrer Biographien (dementsprechend inhaltlich auch ihre Texte) durch das Gesamtgewebe des Berliner Tango und seiner vielfältigen Sedimente, Zeiten und Ereignisse.

Eine andere mögliche Vorgehensweise wäre gewesen, das recherchierte und von den AutorInnen erhaltene Material erst einmal zu sammeln, dann soweit zu zerstücken und zu verändern, um es einem solchen Drei-Phasen-Strukturmodell unterwerfen zu können. Ein mehr zentral und von außen gesteuerter Gestaltungsprozess, ähnlich wie bei der Erstellung einer Choreographie. Dabei wären allerdings viel an authentischem Erzählfluss, Zusammenhang und Originalität aller Beteiligten auf der Strecke geblieben.

Zudem bin ich ein oft ungeduldiger Mensch und wollte nicht noch Jahre damit zuwarten, den ersten Band dieser Trilogie, als eine Art Flaschenpost, deren Empfänger in wundersamer Weise unvorhersehbar sind, in die Gewässer des Tango zu schicken, welche nun so auch weitere interessante potenzielle AutorInnen auf das Projekt aufmerksam werden lässt. Das spannende Moment daran, immer zuerst nur einen Band fertigzustellen und ihn daraufhin gleich auf die Reise zu schicken, bevor man sich an die Arbeit mit dem nächsten macht, zeigt sich darin, dass der dialogische Rückfluss aus der Wahrnehmung eines jeden Bandes die Teilnahme weiterer AutorInnen, erweiterte Einblicke in die Berliner Tangoszene sowie neue Ideen und Perspektiven eröffnet, die den Strukturen und Inhalten jedes nächsten Bandes zu Gute kommen können: dialogisches Arbeiten versus vorgefasster Planumsetzung.

Und meine Vorgehensweise, die maßgeblichen ProtagonistInnen des Berliner Tango in dieser Trilogie größtenteils selbst zu Wort kommen und diese auch darüber reflektieren zu lassen, was für sie das Wesentliche, die Essenz des Tango ausmacht, und wie dieser die eigene Biographie durchwirkt, die persönliche Entwicklung beeinflusst (hat), zeigt einmal mehr – und facettenreich –, was wir eigentlich schon immer wussten oder zumindest erahnten: Jede, jeder, erlebt den Tango, bei allem gemeinsamen Empfinden, gemäß seiner Persönlichkeit und des eigenen Werdegangs anders und schafft damit seine ganz individuelle Wirklichkeits-Konstruktion.

 

In dieser Ausgabe

So wie die Beiträge der Berliner Tango-Pioniere Juan Dietrich Lange und Michael Rühl im 1. Band eine lange Zeitspanne von Anfang der 1980er Jahre bis in die Gegenwart hinein durchmessen, widmet sich Band 2 eingehend einer Rückschau auf die Anfangsjahre aus Sicht der Pionierinnen. Kamen in Band 1 die Tangueros der ersten Stunde zu Wort, gehört diese Bühne nun hauptsächlich den ersten Tangueras in Berlin, die die Szene aktiv mit aufbauten und -formten, Frauen, die von Anfang auch in der Männerrolle führten. Die Rede ist von den Berliner Tango-Pionierinnen, Annette Lange (Tango Vivo), Angelika Fischer mit Brigitta Winkler (TanzArt/ aktuell bei Angelika TangoArt) und Ana Bayer, die, nur mit Ausnahme letzterer, bis heute in der Berliner Tangoszene aktiv sind. Und es gibt in dieser Zusammenstellung auch noch einen weiteren Tango-Pionier, Klaus Gutjahr, der als Bandoneonist und weltweit erster Bandoneón-Bauer beim Festival „Horizonte 82“ mitwirkte – sowohl im Hintergrund als auch mit zwei Berliner Musiker-Kollegen im Trio (als die einzigen deutschen Tango-Interpreten dort) auf der Bühne. Sie alle erzählen von ihrer Anfangszeit mit dem Tango, spannen dabei aber ebenfalls den Bogen bis in die Gegenwart hinein – und stellen ihre aktuellen Projekte vor.

Weitere Gegenwartsbezüge ergeben sich aus dem Dokumentarfilm über die Berliner Tangoszene „Tango Pasión“ von Kordula Hildebrandt, in dessen Entstehungsgeschichte, Inhalte und Dreharbeiten die Filmemacherin in ihrem Artikel Einblicke gewährt. Dadurch wiederum angeregt, enthält dieser Band auch Eigenbeiträge einiger ProtagonistInnen aus dem Film, wie Lilia und Jens-Christian oder Mona Katzenberger.

Und Hans-Henner (Hannes) Becker schreibt darin über das von ihm gegründete Tangokunst-Festival Tangonale, welches er auch leitet, sowie über seine Tango-Theaterprojekte.

Im Kapitel „Tango am Rio de la Plata“ stellt Ute Neumaier dann Tango Solidario vor, ein Projekt zugunsten von Strassenkindern in Buenos Aires, mit bisher drei Kinderheimen, die durch Spenden von TangotänzerInnen aus aller Welt unterstützt werden.

 

In Band 1 hatten wir eigens ein Kapitel „Tango im Dokumentar- und Spielfilm“, welches in diesem zweiten Band nicht gesondert in Erscheinung tritt, da sich Kordula Hildebrandts Filmbeschreibung bestens in das Kapitel „Ein weiterer Streifzug durch die Berliner Tangoszene“ einfügt. Der zweite Tangofilm – Ein letzter Tango –, um den es hier in Form eines Interviews mit dem Filmemacher German Kral geht, konnte wiederum sehr stimmig in das Kapitel „Tango am Rio de la Plata“ eingebunden werden. Und die drei Schwerpunkt-Kapitel „Tango in Asien“, „Impressionen, Reflexionen und Erzählerisches“ sowie „Tango in der sozial-therapeutischen Arbeit“ setzen wir in diesem Band ebenfalls aus und nehmen diese in den weiteren Ausgaben der Reihe nach und nach wieder auf.

Zum Schluss noch ein paar Worte über meine persönlichen Motivation zu der Arbeit an dieser Trilogie: Die Geschichte des Berliner Tango, des Wachstums, der Ausgestaltung und Veränderung seiner Milieus und Subkulturen, der Szene, reicht nun etwa 35 Jahre zurück. Tango ist seitdem zu einem globalen Phänomen geworden. Seine beiden Welt-Metropolen sind Buenos Aires, gefolgt von Berlin. Allein die unüberschaubare Fülle an Berliner Tango-Angeboten, die große Zahl von Anbietern mit ihren unterschiedlichen Auffassungen und Zugängen zwingt mittlerweile schon zur Auswahl. Was dabei als wichtig oder repräsentativ bewertet wird, ist nicht zuletzt eine Frage subjektiver Betrachtung. Der Berliner Tango-Kosmos ist heute zu groß, die Geschichten seiner Verbindungen allzu komplex, um ihn hier vollends abzubilden.

Was mir jedoch besonders am Herzen liegt mit dieser Publikation, ist der Versuch, die Wurzeln des Berliner Tango der Mit- und Nachwelt so weitgehend als möglich zu überliefern, mit all den persönlichen Geschichten und Erinnerungen ihrer Protagonisten an die Pionier- und Anfangszeit. Dass dabei einige darunter in manchen Punkten nicht immer ganz deckungsgleich sind, ist nicht nur deren Gegenspieler, dem Vergessen geschuldet, sondern entspricht ganz einfach dem oszillierend-subjektiven Charakter jeglicher menschlichen Erinnerungsleistung (oft sind es gerade die Widersprüchlichkeiten und Unterschiede in der Wahrnehmung, die ein Gesamtbild erst seiner Vollständigkeit näher bringen, die letztlich nie ganz erreicht werden kann). So kristallisiert sich in eben diesen Widersprüchlichkeiten und Übereinstimmungen erst so etwas wie eine gemeinsame Erzählung und ein Bild, das einen deutlichen Geschmack dieser Zeit vermittelt. Die Szene war damals noch in keiner Weise professionalisiert, sie war familiär, hoch individualistisch geprägt und vor allem überschaubarer. Daher lässt sie sich hier, in diesen ersten beiden Bänden, auch vollständiger erfassen. Dasselbe gilt natürlich für deren Verästelungen, Querverbindungen und Differenzierungen, was im weiteren Verlauf der Darstellungen umso schwieriger wird, je weiter wir uns von dieser Anfangszeit entfernen.

Die, welche sich heute noch an die Anfänge erinnern, stehen nicht ewig zur Verfügung, ihre Geschichten werden auch zu ihren Lebzeiten weiter verblassen und verwehen, wenn wir sie nicht jetzt endlich festhalten. Die Berliner Tangoszene wird gewiss weiter wachsen und sich verändern, in einem Tempo, das für Berlin so typisch ist. Insofern ist es absehbar, dass uns und künftigen Generationen von Tangueras und Tangueros, die gemeinsame Erinnerung daran, wie alles begonnen hatte und es dann nach und nach weiterging, abhandenkommen wird, ohne die Bemühung, unsere Geschichte möglichst lebendig, getreu und ausgiebig festzuhalten und dabei auch die vielen kleinen Geschichten zu bewahren, die Wesentliches erzählen.

In Band 1 steht der deutsch-stämmige Uruguayer Juan Dietrich Lange mit seinen Eigenbeiträgen im Zentrum der Zusammenschau, da ihm eine herausragende Rolle als Motor der Berliner Tangoszene zukommt, aber auch weil seine Geschichte als Exilant, der nach dem Militärputsch in Uruguay auf Umwegen nach Berlin gekommen war, so prototypisch ist für die Wieder-Verbreitung des Tango in Europa und letztlich weltweit.

Als Pendant dazu beginnen wir diesen Band nun mit einem ausführlichen Eigenbeitrag von Ana Bayer, die, als deutsch-stämmige Argentinierin, mit ihrer Familie vor den Militärs nach Europa fliehen musste und ebenso in Berlin landete. Ana Bayer und Juan Dietrich Lange repräsentieren damit nicht nur, aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft (Uruguay/ Argentinien), die Herkunft des Tango an sich, sie stehen beide auch für dessen neuerliche Rückkehr nach Europa und globale Wiederverbreitung aufgrund der besonderen historischen Gegebenheiten dieser Zeit, ihrer inneren Motivation, Initiative und ihren Aktivitäten.

Und, woraus sich noch ein weiteres reizvolles erzählerisches Moment ergibt, sie hatten sich im Zuge des Festivals „Horizonte 82“ kennengelernt und dabei beschlossen, im damaligen West-Berlin gemeinsam mit Tango etwas auf die Beine zu stellen.

 

Ralf Sartori

 

Eine Vorstellung von Band 2 dieser Tango Berlin Trilogie

mit Inhaltsverzeichnis und AutorInnen-Liste finden Sie unter dem Link http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tango-argentino-berlin-buch-trilogie/tango-berlin-band-2.

 

Eine ausführliche Präsentation des 1. Bandes,

ebenfalls mit Inhaltsverzeichnis und AutorInnen-Liste gibt es unter http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tango-argentino-berlin-buch-trilogie.