Geschlechter-Identität und -Rollenbilder
Zum Diskurs über Geschlechter-Identität im Spannungsfeld zwischen kulturell geprägten Rollen-Bildern und universalen Archetypen des Männlichen und Weiblichen, anhand des Tango rioplatense
Diese mittlerweile auf breiter Basis auch akademisch geführte Diskussion, die leider nur allzu oft die archetypische Betrachtungsweise außer Acht läßt und das Thema in der Regel nur soziologisch-historisch beleuchtet, bildet eines der Themenfelder unserer Tango-Buchreihe, die ab 2014 mit ihrem ersten Band erscheint. Mehr zu dieser Publikation unter dem Link http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tangobuch-reihe.
Wir hoffen darin auf spannende Kontroversen. Eingehende AutorInnen-Beiträge können in den jeweiligen Bänden publiziert werden, jedoch auch in den diese Buchreihe flankierenden Tango-Blog. Mehr dazu unter http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tango-blog-muenchen-berlin-hamburg.
Es folgt ein kurzer Einblick in das Gebiet
Geschlecht wurde in den letzten Jahren als soziales Konstrukt entlarvt und unter großen analytischen Anstrengungen in seine diskursiven Bestandteile zerlegt, beim Tango wird es wieder Natur. Für einen Abend regieren archaische Instinkte, (…)“ – Stefanie Flamm: Geschlecht wird wieder Natur. (sinngemäß wiedergegeben nach Anette Hartmann)
Das freudige Spiel zwischen den Geschlechtern, das Hochhalten der Archetypen von „Mann“ und „Frau“, wie es der Tango als Möglichkeit bereithält, macht keinerlei Aussagen zur Emanzipation der Frau, steht ihr aber auch nicht entgegen, hilft dafür jedoch, der mit dieser leider über Jahrzehnte einhergegangenen Depolarisation der Geschlechter wieder heilsam entgegenzuwirken. Tango wirkt hierfür als ein Therapeutikum.
Ralf Sartori
Tango im Spannungsfeld von Emanzipation und innerer Ganzwerdung
Vor diesem Hintergrund passt Tango nicht zu dem, was wir in Europa unter Macho verstehen. Auch berühren die Themen, die im Zusammenhang mit seiner für ihn spezifischen Rollenaufteilung stehen, das Thema Gleichberechtigung (Emanzipation) nicht im Geringsten. Denn es geht hier nicht um Unterordnung, sondern ausschließlich um das lustvolle Spiel zwischen den Geschlechtern, um das Feiern des jeweiligen Archetypus „Mann“ bzw. „Frau“, das nie im Widerspruch zur Ganzwerdung und Integration aller inneren Anteile (der weiblichen wie männlichen, jeweils bei Mann und Frau) sowie menschlichen Fähigkeiten steht, sondern beides nachgerade einfordert.
Jedoch vermag der Tango die negativen Folgen der Emanzipation der Frau, nämlich die traurige Depolarisierung, also Angleichung der Geschlechter, durchaus, als therapeutisches Vehikel, wieder ein wenig zu kompensieren und seine Aficionados beiderlei Geschlechts in dieser Richtung zu inspirieren. Nicht umsonst sind es zum großen Teil beruflich erfolgreiche, zumindest engagierte Frauen, die in der Tango-Kultur einen gewissen Ausgleich zu ihren ansonsten oft vermännlichten Lebenswelten suchen – ebenso wie ein gehöriger Anteil an bis zur Verschwommenheit weichgespülter und konturloser Männer, welche die Erlangung eines solchen Zustandes bisher vielleicht für die Entwicklung ihrer weiblichen Anteile gehalten haben mögen.
Das Spiel zwischen Mann und Frau, das natürlich sämtliche gleichgeschlechtlichen Vorlieben als Möglichkeit immer mit einbezieht, hängt vor allem mit dem ganz selbstverständlichen Genuss zusammen, wie er auch heute noch den Umgang miteinander in südländischen Kulturen prägt, sich, auch in jeglichen Alltagssituationen, einander mit Vergnügen achtsam zuzuwenden und darin in kunstvoll charmanter Weise spontane gegenseitige Sympathie, durchaus mit Körperkontakt (ebenfalls unter Männern, ohne dass diese deshalb für schwul gehalten würden), zu leben wie auch die Aura erotischer Anziehung in spielerischer Leichtigkeit und Offenheit miteinander zu gestalten, gepaart jedoch in der Regel mit einer ganz natürlichen inneren Abgrenzung, dies nicht gleich notwendigerweise als Aufforderung zu einem Mehr misszuverstehen. Und genau diese Kultur repräsentiert der Tango, was bei den zumeist verschlosseneren und einander weniger zugewandten, eher schwerfälligen Nordländern, die aus eben diesen Gründen auch eine solch natürliche Abgrenzung bisher gar nicht erst zu entwickeln brauchten, leicht zu Fehlinterpretationen tangotanztypischer Situationen und der durch sie ausgelösten Empfindungen führen kann. (…)
Das „Ich“ wächst und entfaltet sich idealerweise am „Du“, so wie auch das „Du“ am „Ich“ in besonderem Maße Geltung und Steigerung erfahren kann. Beide sind gleichwertig, gleichbedeutend und als jeweiliger Pol spiegelbildlich und gleich stark besetzt im Tangotanz. (Dies gilt auch für die beiden Rollen von „Führen“ und Folgen“, die einander bei jedem der beiden Ausführenden auf tieferer Ebene durchdringen).
Nur ein starkes, in sich selbst und seinem eigenen Grund (Dasein) verankertes „Ich“ kann sich auch hingeben, ohne in der Anziehung des Gegenübers soghaft unterzugehen und zu entwerden. Nur ein starkes und zentriertes „Du“ kann dem „Ich“ auch Subjekt seiner Hingabe sein. Tango verlangt Offenheit, Verbindung und Nähe, gepaart jedoch mit Selbstwahrung, nicht Verschmelzung und Distanzlosigkeit mit unweigerlicher Entselbstung in Folge.
Dieses Grundideal menschlicher Beziehung drückt sich im Tango an zentraler Stelle aus: bereits in der Form, wie Mann und Frau sich für diesen Tanz miteinander positionieren und dann auch währenddessen in ihm agieren – und zwar innerhalb einer völligen Symmetrie hinsichtlich aller Aspekte, die ebenso zwischen den Grundinstanzen „Ich“ und „Du“ die Ausgangs-Anforderung darstellt (…).
Aus dem eBook Tango: Die Essenz, 49 Maximen für den tanzenden Eros, Autor Ralf Sartori, ausführliche Infos unter dem Link http://tango-a-la-carte.de/tango-buecher/tango-argentino-literatur-tango-buch-neuerscheinung